Von der Vergangenheit überrascht
Zeitreisen sind beliebt, vor allem in Romanen. Und sie werden es vermutlich bleiben, denn in manchen von uns steckt die Sehnsucht, die Vergangenheit zu erkunden. Im letzten Sommer habe ich eine besondere Reise in die Vergangenheit gemacht. Zu meinem Großvater ins Baltikum. Genauer, zu seinem Grab nach Tallinn.
Vom Leben meines Großvaters ist leider nur wenig bekannt. Er ist 1943 an seinem dreißigsten Geburtstag im finnischen Kotka gestorben, nach einem Bombardement des Minensuchboots, auf dem er Maschinenmaat war. Weil meine Großmutter seinen frühen Tod nie verwunden hat, haben ihre Kinder Fragen nach ihrem Vater vermieden. Also habe ich mich auf seine Spuren begeben und diese in einem kleinen Reisetagebuch festgehalten, ergänzt um die letzten Briefe meines Großvaters an meine Großmutter.
Das war’s, dachte ich. Doch nachdem nun ein Historiker – ein beruflich Zeitreisender – das Tagebuch gelesen hat, sandte er mir Berichte und andere Quellen, die meine spärlichen Informationen bereichern. Bei dem Material befinden sich auch Fotos des Schiffes, auf dem mein Großvater war. Ein Foto zeigt die gesamte Besatzung vor dem Angriff. Und plötzlich war die Vergangenheit wieder ganz nahe gerückt.
Der unerwartete Fund weckte in mir den Wunsch, die Reise zu meinem Großvater möglichst bald fortzusetzen. Diesmal an den Ort, an dem er geboren und aufgewachsen ist, südwestlich von Breslau in Polen gelegen. Darum habe ich beschlossen, mein Reisetagebuch um die neuen Informationen und meine weitere Reise zu erweitern, unter neuem Titel. Vielleicht wird diesmal sogar eine richtige Geschichte daraus. Eins habe ich für mich schon jetzt aus der Suche gelernt: Die Gegenwart gewinnt im Kennen und Verstehen der eigenen Vergangenheit.