It’s Tea Time

Der erste Morgen in Schottland! Entgegen meiner üblichen Trödelei bin ich schon um neun Uhr auf der Straße. Eigentlich habe ich einen Plan für den heutigen Tag, doch den verwerfe ich kurzerhand und fahre hinter Peebles einfach der Nase nach über die sich schlängelnden Straßen durch eine traumhaft schöne Landschaft.
Ich gebe zu, jetzt wäre ich lieber Beifahrerin und bräuchte nicht ständig auf die Straßen zu schauen. Waren die sonst auch schon so schmal? Egal, ich muss sie nehmen, wie sie sind.
Nur wenige Meilen weiter südlich von Peebles entdecke ich eine kleine Ruine auf einer grünen Anhöhe. Zwar kann das Gemäuer nicht mit dem Eilean Donan Castle in den westlichen schottischen Highlands mithalten und hat sicher noch nie als Filmkulisse gedient, aber auch diese kleine Ruine ist Romantik pur. Ich beschließe, auf dem Nachhauseweg hier zu halten und zu den alten Mauern hinaufzusteigen. Doch erst einmal setze ich meine Fahrt fort. Nach ein paar weiteren Meilen wage ich einen Abstecher auf eine noch schmalere Straße, die nach Innerleithen führt. Die Hügel sehen auf dieser Seite besonders malerisch aus. Schließlich muss ich den Linksverkehr auf allen Straßen üben. Meine Entscheidung wird mit fantastischen Ausblicken belohnt. Damit ich diese auch genießen kann, halte ich in einer der kleinen Buchten neben der Fahrbahn. Schade, dass sich der Himmel gerade in eine dicke Wolkendecke hüllt, sonst würde ich richtig viele Fotos machen. Doch die ersten Ergebnisse geben das, was ich sehe, nur unzureichend und flach wider, darum packe ich den Fotoapparat wieder fort und nehme nur die schöne Landschaft in mich auf.
Bis mein Blick auf ein kleines Holzhaus fällt, das etwas entfernt steht und an einen Western-Saloon erinnert. Wenn das nicht … Und wirklich, ich habe Glück! Es ist einer der vielen Tea Rooms (auch wenn sich dieser als Coffee House ausgibt), die überall in Schottland – ob in der Einsamkeit oder an belebten Orten – zu einer kurzen Pause einladen. Und sie kommen sehr unterschiedlich daher, mal mit dem rauen Charme der Wildnis, mal fein herausgeputzt mit Spitzenschmuck und ganz viel Deko, bei der man sich in eine Art Märchenland versetzt fühlt. Und manchmal sind sie sogar mitten in Verkaufsräumen. Bisweilen gehen die Erlöse aus den Tea Rooms auch an ein soziales Projekt. Doch gleichgültig, ob die Mitarbeiter ehrenamtlich hier arbeiten oder damit ihren Lebensunterhalt verdienen, man spürt, dass Gäste herzlich willkommen sind. Ich mag die Tea Rooms sehr.
Zumindest für die Dauer einer Kanne Regular Tea, womit der Frühstückstee gemeint ist, zumeist ein Verschnitt verschiedener Schwarzteesorten, in denen der Assam jedoch den Ton, beziehungsweise die Farbe angibt. Und weil die Teebeutel in der Kanne verbleiben und von Tasse zu Tasse das Getränk kräftiger und dunkler machen, gibt’s mancherorts noch ein Kännchen heißes Wasser zum Verdünnen dazu. Meiner Erfahrung nach vor allem in den Highlands und auf den Hebriden.
Dass es noch nicht einmal zehn Uhr ist und mein dreigängiges Frühstück bestehend aus Toast mit Butter und Marmelade, Bohnen, Black Pudding, gegrillten Tomaten, Pilzen, Schinken, Rührei, Kartoffelpuffern und einem Obstsalat als Nachtisch noch immer meinen Magen füllt, hält mich nicht von einer Pause ab. Doch ich verzichte diesmal auf Scones mit Clotted Cream und Erdbeermarmelade und beschränke mich auf den Tee.

Bei den Tea Rooms kommt mir übrigens immer The Oven Door in Peebles in den Sinn. Der kleine Raum ist meistens gut besucht. Ich kenne ihn seit vielen Jahren und freue mich immer schon auf den leckeren Kuchen, der hier auf buntem Geschirr serviert wird. Natürlich war das mein erster Weg nach meiner gestrigen Ankunft …




Festivals rund um die Themen Jazz und Kunst weiß die Stadt außerdem zu feiern. Am bekanntesten ist wohl das Beltane-Festival zum Sommerbeginn, das in der 3. Juniwoche stattfindet und seine Wurzeln in der keltischen Mythologie und Religion hat. Vielleicht sollte ich für nächstes Jahr schon einmal für diesen Zeitraum buchen.
Apropos Kirche, auf einem Straßenschild lese ich Cross Kirk. Scots, eine westgermanische Sprache, die in den schottischen Lowlands, den Southern Uplands und in den Regionen um Glasgow und Edinburgh gesprochen wird, – nicht jedoch im ‚gälischen Schottland‘ der Highlands und Hebriden-Inseln – hört man hier nicht nur in der Aussprache, sondern findet es auch in der Schriftsprache – wie hier Blau auf Weiß. Scots ist übrigens nicht mit dem schottischen Englisch gleichzusetzen, der heutigen Amts- und Bildungssprache in Schottland, sondern eine eigene Sprache.
Mein erster Besuch in Peebles liegt inzwischen elf Jahre zurück. Damals erschien mir ein Ausflug in den gut 8.500 Einwohner zählenden Ort wie eine Fahrt in die große Stadt. Gemeinsam mit vier Bekannten genoss ich damals umgebende Natur und Einsamkeit in einem wunderschönen Ferienhaus in Drumelzier, einem Örtchen, das ebenfalls im Tal des Flusses Tweed und nur wenige Meilen von Peebles entfernt liegt. Direkt neben dem Haus plätscherte ein kleiner Bach und gleich dahinter stieg ein grüner Hügel an.
Doch als Alleinreisende ziehe ich diesmal die Geselligkeit in einem Hotel vor. Mit dem Mercure Peebles Baronet Castle Hotel habe ich Glück. Es sieht nicht nur von außen schön aus, es ist auch von innen ein Ort, an dem ich die nächsten fünf Tage verbringen will. Denn so lange werde ich mich in den Scottish Borders aufhalten, bevor es weitergeht in die Highlands. Nach einem ausgiebigen Abendessen im Hotelrestaurant mache ich mich auf den langen Weg durch viele enge Flure zurück in mein Zimmer. Die Böden und sogar die Treppen sind hier mit großkarierten Teppichen belegt. Und dann glaube ich einen Moment lang tatsächlich zu träumen. In einem der Flure kommt mir ein festlich gekleideter und sehr attraktiver Mann mit schwarzen Haaren, Bart, Jackett, Weste, Hemd und Schlips entgegen. Ich wage einen Blick auf den unteren Teil seiner Bekleidung, der aus einem grün-blau-karierten Kilt und farblich passenden Strümpfen, einem Sporran (Geldtasche), einem Gürtel mit auffallender Schnalle sowie dem Sgian Dubhs (Messer) im Strumpf besteht. Abgerundet wird die Bekleidung von den passenden Ghillies Brogues (Schuhen) mit den besonderen Lochmustern und den mehrfach um die Fesseln geschlungenen Schnüren. Bei diesem Anblick verschlägt es mir erst einmal die Sprache. Zum Glück ergreift der Mann das Wort und wir tauschen schließlich ein paar Höflichkeiten aus, während wir uns in dem zugegeben sehr engen Gang aneinander vorbei bewegen. Dabei stelle ich fest, dass der Mann sogar ein wunderschönes Lachen hat. Wird hier vielleicht ein Film gedreht und ich stehe gerade vor dem Helden der Geschichte? Einen Moment lang liegt mir tatsächlich die Frage auf der Zunge, ob ich vielleicht ein Foto von ihm … mein Handy wäre griffbereit. Doch dann sind wir zum Glück schon aneinander vorbei und ich habe mir diese Peinlichkeit erspart.
Ganz beschwingt erreiche ich mein Zimmer im dritten Stock, wo ich mich wie das Burgfräulein persönlich fühle und einen schönen Blick in den Schlossgarten habe. Und siehe da, das Rätsel löst sich. Dort unten versammeln sich gerade Gäste einer Hochzeitsfeier. Auch mein Held aus dem Gang trifft in diesem Moment ein. Und er ist nicht allein, denn als ich nun den Blick über die fröhliche Gesellschaft schweifen lasse, erkenne ich, dass mindestens ein Drittel der anwesenden Herren Kilt trägt. Ich bin wirklich wieder in Schottland …