Alle Jahre wieder…
Satirisches aus dem ganz normalen Alltag
von Marie-Luise Wagener
Weihnachten hält auch nicht immer, was es verspricht. Das Schönste daran ist – wie so oft – die Vorfreude. Und die kehrt erstaunlicherweise alle Jahre wieder. Liebevoll verpackte Geschenke stapeln sich in entlegenen, selten frequentierten Schränken, die Kühltruhe ist wohlbestückt, ein halbwegs gerade gewachsener Baum besorgt. Nun kann es kommen, das Fest der Feste!
Doch vorher steht einem die Ankunft selten anwesender und mitunter gewöhnungsbedürftiger Familienmitglieder ins Haus. Man nimmt sich vor, – ausnahmsweise, um des lieben Friedens Willen und weil Weihnachten das Fest der Liebe ist – besonders tolerant zu sein, das Chaos großzügig zu übersehen, das diese Personen innerhalb weniger Stunden in den weihnachtlich hergerichteten Räumen verursachen und Bemerkungen wie: „Schon wieder dieser langweilige silberne Weihnachtsbaumschmuck!“ unerwidert zu lassen.
Die innere Anspannung steigt jedoch beim Gedanken an das Festessen. Nichts hassen gelegentlich zu Besuch weilende Sprösslinge mehr, als den Bruch mit Traditionen aus Kindertagen. Und dieses Mal wagt man es gar, Bratwurst, Sauerkraut und Kartoffelpüree zu servieren! Die Drohung, dann doch im nächsten Jahr lieber gar nicht erst zu kommen, quittiert man, schon etwas gereizt, damit, dass das eigentliche Festmenü am ersten Weihnachtstag folge.
Die nächste Zitterpartie ist das Sichten der Geschenke. Das, was man in Vorfreude mühsam ausgesucht, durch Menschenmassen in strömendem Regen nach Hause geschleppt und schließlich kunstvoll verpackt unter den Tannenbaum drapiert hat, schrumpft jämmerlich zusammen, wenn man die abschätzenden Blicke der Beschenkten sieht. Fragen wie: „Zeig mal, was hast du denn bekommen?“ lassen ahnen, dass nicht alles ins Schwarze trifft, was man selbst so toll fand.
Nach der ersten und schwierigsten Weihnachtshürde, dem Heiligen Abend, kann man die beiden folgenden Feiertage gelassener angehen. Ärgerlich ist es zwar, dass das so schön geplante gemeinsame Erste-Weihnachtstag-Frühstück – gegen 9.00 Uhr angesetzt -, ohne die Anwesenheit der Besucher stattfindet. Obwohl man doch so gern alle seine Lieben um sich versammelt hätte, wozu sich ein Esstisch nun mal am besten eignet. Wenn sich die Langschläfer auch noch kurz vor dem Mittagessen mit allem, was der Kühlschrank hergibt, vollstopfen und dafür das sorgfältig zubereitete Festmenü ignorieren, droht die Stimmung zu kippen.
Am zweiten Weihnachtstag löst sich traditionsgemäß die Viersamkeit wieder in eine Zweisamkeit auf und man kann sich entspannt zurücklehnen, die Gedanken an eine Flucht im nächsten Jahr – wohin auch immer – verwerfen und sich sagen: „Es hätte schlimmer kommen können!“
Illustration von Kristine Reimann
aus: Als Lilofee die Zeit anhielt von Paula Schabehorn