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Mitten ins Herz – Culloden

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Früh bin ich an diesem Morgen aufgestanden. Heute geht es an den Ort, den ich schon so lange besuchen will: Culloden Moor.

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Doch vorher fahre ich nach Inverness. Die Stadt wird auch als ‚hub‘ (Radnabe) der Highlands bezeichnet. Sie liegt traumhaft schön an der Mündung des Flusses Ness in den Moray Firth. Und wieder einmal bedaure ich, nicht Beifahrerin zu sein. In der Burg von Inverness, die es längst nicht mehr gibt, hat einst Macbeth regiert. Das war im 11. Jahrhundert.

20160714_132042 - KopieIch schlendere durch die Straßen der 50.000-Einwohner-Stadt, bleibe ab und zu bei Straßenmusikern stehen. Es herrscht eine angenehme Atmosphäre, dennoch empfinde ich Unruhe. Und als ich schließlich am Schloss, das heute statt Macbeth‘ Burg über Inverness thront, zur riesigen Flora MacDonald aufblicke, der Frau, die nach der verheerenden Schlacht im Moor den schönen Stuart-Prinzen in einer mehrmonatigen abenteuerlichen Flucht schließlich auf ein Schiff und damit außer Landes schmuggeln konnte, mache ich mich schleunigst auf den Weg zum eigentlichen Ziel meiner heutigen Reise. Dorthin, wo am 16. April 1746 das Hochland und die schottische Kultur aufgehört haben, das zu sein, was sie bis dahin waren.

Nach wenigen Meilen komme ich an und stelle sogleich fest, dass das Schlachtfeld von Culloden Moor touristisch gut erschlossen ist. Nachdem ich mein Auto auf dem riesigen Parkplatz abgestellt habe, führt mich der Weg zunächst durch einen großen, flachen Bau, der sich jedoch gekonnt und unaufdringlich in die Landschaft einfügt. Er ist Besucherzentrum und Dokumentationsstätte dieser letzten offenen Schlacht auf britischem Boden. Inklusive Shop und Tea Room. Als ich mein Ticket kaufe, macht mich die freundliche Mitarbeiterin auf einen Videoraum aufmerksam, der sich ein wenig versteckt befinden soll. Ich stelle mir einen Dokumentarfilm vor und beschließe, ihn auf jeden Fall anzuschauen.

Die Ausstellung ist informativ und gut gemacht. Dann komme ich an die Tür, hinter der besagter Videoraum sein soll. Die meisten Besucher gehen daran vorbei. Doch ich öffne die Tür und sehe mitten im Raum einen Mann stehen. Immer wieder blickt er von einer Wand zur nächsten. Sie dienen alle gleichzeitig als Projektionsfläche. Als kurz darauf die ersten Szenen beginnen, begreife ich, dass ich mich mitten in der Schlacht befinde. Es ist Mittag am 16. April. 5000 Jakobiten in Hochlandtracht mit Gewehren, Breitschwertern und Rundschilden stehen unter dem Befehl von Charles Edward Stuart 8000 Infanteristen und 850 Kavalleristen sowie 20 Kanonen der Artillerie gegenüber. Die englische Armee unter Oberbefehl von Wilhelm August, Herzog von Cumberland, setzt sich vor allem aus englischen Soldaten, Söldnern, Hannoveranern, aber auch regierungstreuen Schotten zusammen. Und ein bisschen kann ich beim Anblick der angreifenden Highlander nachvollziehen, dass dieser Kampfstil von ihren Gegnern als anarchisch empfunden wurde.

Nun starten die Highlander ihren gefürchteten Sturmangriff. Sie können trotz großer Verluste durch das englische Artilleriefeuer noch die erste Linie der Gegner durchbrechen, erleiden jedoch durch die Gewehrsalven der dahinter stehenden Reihen sowie im Nahkampf der zahlenmäßig weit überlegenen englischen Truppen so schwere Verluste, dass sie den Rückzug antreten müssen. Dann greift die Kavallerie an. Über 1200 Jakobiten fallen, 300 englische Soldaten finden den Tod. Verwundete Krieger auf schottischer Seite lässt der Herzog von Cumberland erschießen. Er geht als ‚The Butcher‘ – der Schlächter – in die Geschichte ein.

„It’s over“, sagt der Mann plötzlich, der mit mir im Raum steht. Erschrocken sehe ich ihn an. Ja, es ist vorbei. Die Schlacht hat damals keine halbe Stunde gedauert und das Schicksal des Hochlands und seiner Traditionen mit Clan-System und schottisch-gälischer Kultur besiegelt. Symbole des schottischen Selbstbewusstseins, wie das Tragen von Tartan und Kilt, stand von nun an unter harter Strafe.

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Schweigend und bedrückt verlassen wir gemeinsam den Videoraum. In der Ausstellung gibt es noch einen Tisch, auf dem der Verlauf der Schlacht elektronisch dargestellt ist. Und es gibt Waffen von damals, Gewehre, die man anfassen kann. Ich habe keine Lust, sie zu berühren. Stattdessen gehe ich nun endlich hinaus auf das riesige, ehemalige Schlachtfeld.

Der Himmel zeigt sich launisch. Düstere Wolkengebilde wechseln sich mit Sonne ab. Weit über eine Stunde laufe ich über das Feld, vorbei an den roten Fahnen, die den Standort des englischen Heeres markieren, hin zu den blauen, den Fahnen der Jakobiten. Dann zur Quelle der Toten und zum mehr als 10 Meter hohen Gedenkturm  für die Gefallenen und den einfachen Gedenksteinen der einzelnen Clans. So viele Leichen haben hier gelegen und ihr Blut hat den Boden durchtränkt. Erst spät wurden sie von Menschen der nahen Orte bestattet, wie ich lese.

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Wie konnte es zu diesem grauenhaften Ereignis kommen, bei dem sich zwei entfernte Cousins, der Herzog von Cumberland und der Stuart-Prinz, beide erst um die 25 Jahre alt, gegenüberstanden? Schottland und England waren seit 1707 eine Union. Großbritannien. In London regierte George II. aus dem Hause Hannover, während auf dem Festland die Stuarts nach der Vertreibung des katholischen Königs James II. im Jahr 1688 darauf sannen, mit dessen Enkel, Charles Edward Stuart, den Thron von Schottland und England zurückzuerobern. Nachdem der Stuart-Prinz ein paar tausend Anhänger – vorwiegend aus dem Hochland – überzeugt hatte, mit ihm den Aufstand zu wagen, siegte er im September 1745 in der Schlacht bei Prestonpans in der Nähe von Edinburgh zunächst über die englischen Truppen. Am 8. November desselben Jahres überschritt er mit seiner inzwischen 5000 Mann zählenden Truppe sogar die englische Grenze. Sie gelangten bis Derby, 200 Kilometer vor London. Dort wurde jedoch der Rückzug auf Drängen des schottischen Oberbefehlshabers Lord George Murray und gegen den Willen des Prinzen beschlossen. Denn die Jakobiten waren durch zwei englische Armeen unter dem Kommando des Herzogs von Cumberland sowie unter General George Wade bedrängt worden. Zudem waren die Hochländer geschwächt, da sie keinen Sold erhielten und die versprochene Truppenverstärkung aus Frankreich ausblieb.

Dennoch siegten die Schotten im Januar noch einmal bei Falkirk. Doch die Truppe wurde kleiner, weil viele von Bonnie Prince Charlies Anhängern desertierten. Die Versorgung war schlecht und weitere Unterstützung noch immer nicht in Sicht. Schließlich kam es zur folgenschweren Entscheidung des schottischen Oberbefehlshabers, nach einem stundenlangen Nachtmarsch die englischen Truppen in ihrem Lager anzugreifen. Doch das englische Lager wurde erst zu spät aufgespürt und Oberbefehlshaber Murray forderte für die erschöpften Männer einen Rückzug. Bonnie Prince Charlie entschied jedoch, den Gegnern sofort in Culloden Moor zu begegnen.

Von keltischen Barden und schottischen Familienbanden

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Ist erst einmal die morgendliche Dreiviertelstunde Fahrt von meinem Hotel bis zur Hauptstraße geschafft, werden die Straßen in Richtung Grampian Mountains auch schon breiter. Dafür sind sie hier auch stärker genutzt. Sowohl von Autofahrern als von Schafen. Und natürlich von Zweiradfahrern, die sich den Hochlandwind um die Nase wehen lassen. Würde mir auch gefallen.

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Dem Erfinder von Ossian auf der  Spur

Mein heutiger Weg führt mich noch einmal nach Newtonmore in den Grampian Mountains. Außer dem Highland Folk Museum gibt es dort nämlich ein zweites Museum, auf das ich gespannt bin. Das Clan Macpherson Museum. Vor einigen Tagen habe ich gelesen, dass der schottische Schriftsteller und Politiker James Macpherson (1736 – 1796)  ganz in der Nähe, nämlich in Ruthven, gelebt haben soll. Auf Ruthven bin ich durch die eindrucksvolle Ruine gleichen Namens gestoßen. Auf James Macpherson und die Fragments of Ancient Poetry (1760) hingegen wurde ich bereits vor vielen Jahren beim Thema englische (beziehungsweise schottische) Romantik aufmerksam.20160715_145937 - Kopie

Schon während seines Studiums in Aberdeen und Edinburgh schrieb der junge Macpherson Gedichte. Große Bekanntheit erlangte er jedoch erst durch die angebliche Entdeckung der Werke des keltischen Barden Ossian. Dieser erzählt in seinen Gedichten von den Heldentaten und dem Untergang seines Volkes, dessen letzter Überlebender er ist. Ein blinder Weiser, der bisweilen auch als nordischer Homer bezeichnet wird.

Die Ossianischen Gesänge erschienen während der Frühphase der Romantik. Es war eine Zeit der Hinwendung zum Norden und einer verklärten und verklärenden Sicht auf dessen Geschichte. Bisweilen wurde diese nachträglich ‚passend‘ gemacht oder einfach neu erfunden. Wie im Fall Ossian. Oder besser gesagt, im Fall des James Macpherson. Denn er war der eigentliche Urheber der angeblich im Hochland zusammengetragenen Schriften. Der ersten folgten sogar weitere Veröffentlichungen vermeintlich uralter Verskunst: Fingal, an Ancient Epic Poem in Six Books (1761), Temora (1763) sowie The Works of Ossian (1765). Und die Werke wurden auch noch in andere Sprachen übersetzt. Ein Teil der europäischen Welt jubelte. Musste man jetzt nicht mehr ausschließlich aus den kulturellen Quellen der Antike schöpfen, sondern konnte endlich auch auf ‚eigene‘ Wurzeln zurückgreifen. Damit war Ossian aus der englischen Romantik nicht mehr wegzudenken und frühe Zweifler an der Echtheit der Werke fanden kein Gehör.

Erst Jahre später wurden die Ossianischen Gesänge öffentlich als Fälschungen entlarvt. James Macpherson indessen wurde Mitglied des britischen Parlaments und blieb es bis zu seinem Tode.

Ossian ist doch keine Erfindung

… dachte ich, als ich das Clan Macpherson Museum in Newtonmore betrete und herzlich von einem langgelockten Mann im Kilt begrüßt werde. Und während ich mich frage, ob er vielleicht ein Nachfahre des legendären Barden Ossian sei, überrascht er mich gleich noch einmal. Diesmal mit der Frage, ob ich eine Macpherson sei. Nachdem ich lachend verneint habe, erzählt er mir, dass hierher Macphersons aus der ganzen Welt kämen, um ihre schottischen Wurzeln aufzuspüren. Das gefällt mir und fast bedaure ich, keine Macpherson zu sein.

Als ich ihn nach James, dem Ossian-Erfinder, frage, lacht er diesmal und deutet auf den hinteren Teil der Ausstellung. Dort sei Ossian und seinem Verfasser sogar ein ganzes Kapitel gewidmet. Ich werde neugierig. Bevor ich mich jedoch auf den Weg durch die Ausstellung mache, nehme ich das Angebot des Mannes im Kilt an und schaue mir zuerst ein zehnminütiges Video über den Macpherson-Clan an. Und wieder denke ich, dass es vielleicht schön wäre, selbst zu einem solchen Clan zu gehören.

Ich bleibe lange in der Ausstellung. Sie erzählt die Geschichte des Clans von frühestem Beginn an. Genauer beginne ich zu lesen, als ich bei den Jakobiten-Aufständen ankomme. Das Hochland war damals zerrissen zwischen der Regierungs-Gefolgschaft und der Unterstützung des Stuart-Prinzen. Die Entscheidung für die eine oder die andere Seite war komplizierter als es manche Beschreibungen glauben machen wollen. Und es war längst kein Konflikt England gegen die Highland-Clans. Oft stand ein Clan nicht geschlossen für die eine oder andere Sache. Sogar Eheleute kämpften bisweilen auf verschiedenen politischen Seiten. Doch das ist ein anderes Kapitel. Langsam folge ich der weiteren Ausstellung und stehe bald vor heraldischen Zeugnissen, Wappen und den typischen Attributen des Highland Dresses, bis mich schließlich ein sehr ernstes Kapitel zum Ersten und Zweiten Weltkrieg  wieder zum längeren Verweilen bringt.

Die wenigen anderen Besucher haben mich längst überholt. Nicht, dass ich die Texte Wort für Wort lese. Es sind zu viele, um sich deren Inhalte zu merken. Aber ich betrachte eingehend die Exponate, Zeugnisse einer langen Familientradition und eines starken Gefühls der Verbundenheit. Der letzte Ausstellungsteil ist Clan-Mitgliedern gewidmet, die öffentliche Positionen inne hatten oder haben. Viele Politiker sind dabei, aber auch bedeutende Wissenschaftler und Künstler. Und dann entdecke ich noch das Model Elle Macpherson. Na klar, sie heißt ja auch so.

Bevor ich das Museum verlasse, komme ich noch einmal mit dem netten Mann ins Gespräch. Natürlich ist auch er ein Macpherson. Dieses Museum ist klein, aber es ist mit Herzblut gestaltet. Bei meinem nächsten Besuch in den Grampian Mountains komme ich wieder hierhin. Und wer weiß, vielleicht behaupte ich dann einfach, eine Macpherson zu sein. Das passende Clan-Abzeichen und eine DVD mit der ausführlichen Geschichte der Macphersons kaufe ich mir jedenfalls im kleinen Museumshop. Und als ich endlich gehen will, fällt mein Blick noch auf eine CD. Darauf ist ein keltischer Steinkreis zu sehen. Trees and Stones heißt sie. Die Lieder besingen – den Titeln nach zu schließen – die alten Zeiten und die Natur. Als ich die Rückseite betrachte, fällt mir fast die Kinnlade herunter. Interpret und Komponist ist der Museumsmann.

Ich hatte also Recht. Er ist wirklich ein Nachfahre des keltischen Barden Ossian …