Vorbilder

Das außergewöhnliche Leben der Lillian Gilbreth (1878 – 1972)

Ein Gastbeitrag von Alicia Muth

Manchmal im Leben wird man gefragt, ob man Vorbilder, gar Idole, habe. Ich hatte damit immer ein kleines Problem – ich hatte eigentlich nie so recht eines. Kein echtes, fixes, mal abgesehen von meinen Eltern, die ja für alle Kinder in gewisser Weise ein Vorbild sind. Und abgesehen von Oma Margareta, die das nach wie vor für mich ganz speziell ist.

Im zarten Alter von elf oder zwölf Jahren lernte ich dann jemanden kennen, der heute mein Vorbild ist, obwohl wir im Grunde rein gar nichts gemeinsam haben, abgesehen von der Tatsache, dass wir beide Frauen sind. Mein Vorbild vielmehr war es, denn sie ist schon lange tot.

Ich lag mit einer schlimmen Bronchitis und Fieber krank im Bett. Alle Bücher waren bereits gelesen, andere Beschäftigungsmöglichkeiten waren aufgrund der Erkrankung nur erschwert möglich. Meinem Vater tat das leid, und als er einmal in die Stadt fahren musste, um Besorgungen zu machen, ging er in eine Buchhandlung. Er wusste, wie gerne ich lese. Und nach seiner Rückkehr nach Hause kam er in mein Zimmer und hielt ein Buch in der Hand. Ein Taschenbuch. Er wirkte fast ein wenig verlegen, als er meinte: „Ich habe leider den ersten Band nicht bekommen – das sind eigentlich zwei Bände. Aber es wird dir sicherlich gefallen.“ Und er berichtete, dass es um eine amerikanische Familie gehe, eine Familie mit zwölf Kindern, und die Handlung spiele in den 1920ern. Er erklärte, der Vater sei Ingenieur gewesen, Spezialist für Rationalisierung und Arbeitsoptimierung inklusive Zeitstudien.

Ich hörte nur „Ingenieur“, und da mein Vater selber Ingenieur ist und ich von klein auf stets dergestalt mit technischen Erklärungen, Lehrstunden und weiteren Dingen dieser Art konfrontiert worden war, dass es manchmal etwas nervend wurde, dachte ich: „O Gott! Nun auch noch im Krankenbett! Und die Handlung spielt auch noch in der Urzeit!“ Aber da ich sehr an meinem Vater hänge und mich rührte, dass er in der Stadt extra an mich gedacht hatte, las ich das Buch an. Etwas zögerlich zunächst. Und dann legte ich es nicht mehr aus der Hand, denn es war nicht nur interessant, sondern fesselnd. Ein so liebenswertes Buch war es, dass ich ganz traurig war, als ich es ausgelesen hatte. Man mag es nun für verrückt halten, aber ich las es direkt noch einmal. Mein Vater hatte einen Elfmeter getroffen.

Jahre später entdeckte ich bei meinem Ex Richie den ersten Band und las ihn auch in einem Stück durch. An einer Stelle liefen mir dann sogar Tränen übers Gesicht, so sehr hatte ich mich mit dieser Familie „angefreundet“: gegen Ende des ersten Bandes, als der Vater ganz plötzlich und unerwartet stirbt. Band zwei hatte kurz nach dessen Tod eingesetzt, und obwohl ich ja wusste, was Sache war, berührte mich das Ganze doch sehr. Denn: Es ist alles authentisch. Diese Familie, die so sympathisch und tüchtig war, gab es

Postage stamp USA 1983 Lillian M. Gilbreth

Copyright: laufer – Fotolia.com; a stamp printed in the USA in 1983 shows Lillian M. Gilbreth, American psychologist and industrial engineer

wirklich: die Familie Gilbreth. Nach den Büchern sind in den 50ern zwei Filme gedreht worden – „Cheaper By The Dozen“ und „Belles on Their Toes“, zu Deutsch: „Im Dutzend billiger“ und „Aus Kindern werden Leute“.

Mein spezielles Vorbild kommt aus dieser Familie und wurde aufgrund höherer Gewalt zu deren Oberhaupt: Lillian E. Moller Gilbreth, die Mutter des Dutzends. Ihr seht, wir haben schon an dieser Stelle rein gar nichts gemein, denn ich habe nicht einmal ein einzelnes Kind. Geschweige denn ein rundes Dutzend.

Und doch ist sie mein Vorbild, denn sie hatte es gar nicht leicht, als ihr Mann gestorben war und sie ihre Kinder allein durchbringen musste. Da sie selber Psychologin und Ingenieurin war und stets mit ihrem Mann zusammengearbeitet hatte, übernahm sie seine Aufgaben, um die Firma weiterzuführen und die Familie zu ernähren, den Kindern ein Studium zu ermöglichen, wie es stets ihr und ihres Mannes Wunsch gewesen war. Aber man machte es ihr trotz ihrer Kenntnisse, ihrer Intelligenz und ihres gesunden Menschenverstandes nicht leicht. Kein Wunder in dieser Zeit, denn sie war ja eine Frau, und die konnten doch nur kochen, backen, gegebenenfalls Klavier spielen, sticken, stricken, häkeln und Kinder bekommen und erziehen. So dachte man wohl.

Aber Lillian Gilbreth hat gekämpft. In erster Linie für den Erhalt ihrer Familie, denn wäre sie gescheitert, hätte die Familie nicht zusammenbleiben können, und die Kinder hätten zwar nicht im Heim, aber bei Verwandten untergebracht werden müssen, etwas, das Lillian Gilbreth um fast jeden Preis verhindern wollte. Nur im absoluten Notfall wollte sie das akzeptieren – die Kinder sahen es genauso. Schlimm genug, dass der Vater so plötzlich gestorben war – man hielt zusammen, um nicht auseinandergerissen zu werden.

Aber auch die Firma ihres Mannes, der ja ein gefragter Experte war, musste weiterbestehen. Sie verfügte über die gleiche Expertise, aber man nahm sie nicht für voll, belächelte sie in den „Roaring Twenties“.

Geschafft hat sie es durch Beharrlichkeit, ihre Kenntnisse und ihren offenbar ungebrochenen Willen. Und damit überzeugte sie auch die ärgsten Zweifler. Und so erlangte sie nicht nur den Grad eines PhD, sondern wurde damit auch noch Professorin an der Purdue University, dem New Jersey Institute of Technology und an der University of Wisconsin-Madison.

Mein Vater berichtete immer voller Hochachtung, wie er als Student an der RWTH Aachen einen Gastvortrag besucht habe, den Lillian Gilbreth, schon recht alt, dort gehalten hätte. Sie sei eine sehr beeindruckende Persönlichkeit gewesen, und er ziehe den Hut vor ihrer Leistung. „Eine echte Ingenieurin mit sehr viel Stil und Autorität.“ So sagte er immer.

Aber dass mein Vater sie quasi persönlich „kannte“, habe ich erst lange nach seinem Buchmitbringsel erfahren. Das machte das Ganze natürlich noch viel interessanter.

Lillian Gilbreth und ich haben im Grunde rein gar nichts gemeinsam. Aber sie ist ein Vorbild, da sie nie aufgab. Und sie ist für mich im Hinblick auf Emanzipation ein echtes Vorbild, da sie das Prinzip nicht nur verstanden hatte, sondern auch lebte. Und das bereits vor dem Tod ihres Mannes. In den Goldenen Zwanzigern. Keine bloße Umkehrung von Vorzeichen, die keinerlei Fortschritt bringen würde; nur, dass dann die andere Gruppe sich die Rosinen herauspicken würde, statt der bisherigen. Das war wohl nicht ihre Linie. Sie hat es rigoros durchgezogen, doch wohl nicht nur, weil sie musste. Offenbar eine echte Persönlichkeit. Und da ich das so bewundernswert finde, hängt schon seit längerer Zeit ein Foto von ihr an meiner Büro-Pinnwand. Als dezente Mahnung, niemals aufzugeben, ganz gleich, was für ein Murks über einen hereinbricht.:-)

Und damit ähneln meine beiden speziellen Vorbilder einander. Und noch etwas: Knöpft eure Blusen und Hemden immer von unten nach oben zu. Spart Zeit. Und wenn ihr das nächste Mal einen Tret-Mülleimer oder einen Handmixer benutzt, denkt an Lillian Gilbreth: Wäre sie nicht gewesen, hätten beide Dinge von jemand anderem erfunden werden müssen. Und nicht nur die.:-)

Sage zur Johannisnacht

318„Jetzt zogen Nebelschwaden vom Fuß des Berges herauf und legten sich wie ein kühler Hauch über das Land. Auch die Natur präsentierte sich plötzlich verändert, die Nachtvögel waren verstummt und die Blätter der Bäume hatten aufgehört, im Wind zu tanzen. Die ganze Welt schien plötzlich still zu stehen, heute, in der Johannisnacht. Der einen Nacht im Jahr, in der sich der Berg dem öffnete, der zur richtigen Zeit kam.“

Sagenhafte Oberlausitz

Bei einem Anbieter für Städtereisen habe ich heute meinen Roman Johannisnacht als Buchempfehlung für die Lessing-Stadt Kamenz entdeckt. Das hat mich gefreut. Auf die kleine Stadt in der Oberlausitz bin ich während meiner Recherche gestoßen. Als ich auch noch eine Sammlung mit wunderschönen Sagen dieser Region entdeckte, habe ich entschieden, Kamenz in die Romanhandlung einzubeziehen. Die Stadt hat nämlich auch ihre ganz eigene Sage zur Johannisnacht (23. auf den 24. Juni, siehe ganz unten) …

Ein Besuch in Kamenz lohnt sich aber zu jeder Zeit!

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www.tripango.de/tourismus/kamenz/

„Der kleine Ort präsentierte sich in der warmen Nachmittagssonne von seiner strahlenden Seite. Ich ließ die Fassaden im klassizistischen Stil auf mich wirken, die vielen Durchblicke, die die schmalen Straßen boten, und die besondere Atmosphäre von Kamenz. An jeder Ecke wiesen kleine Schilder Ortsunkundige zu den Attraktionen der Stadt.“

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„In den Monaten nach unserer ersten Begegnung sind Benedikt und ich oft nach Sankt Marien in Kamenz gefahren. Dann haben wir uns auf unsere Bank auf dem alten Friedhof gesetzt und von dort hinunter in die Landschaft geschaut. Es ist so ein schöner und romantischer Platz. Oft stellten wir uns dabei vor, wie die Welt wohl 1729 ausgesehen hat, als Gotthold Ephraim Lessing geboren wurde. Benedikt hat alles von ihm gelesen und schätzt ihn sehr. Nicht weil er unser Nachbar ist – zeitversetzt natürlich -, sondern weil Lessing die Dinge immer von mehreren Seiten betrachtet und sich auch mit den Argumenten Andersdenkender auseinandergesetzt hat. Am besten gefällt Benedikt Lessings Vorstellung von Wahrheit, dass man sie nicht wie einen Gegenstand besitzen, sondern sich ihr nur immer wieder neu annähern kann.“

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„Sanfte Erhebungen zogen sich zu beiden Seiten der Fahrbahn bis an den Horizont. Kontrapunkte setzten Baumgruppen, die über die Landschaft verteilt standen. Ungewöhnlich für die Jahreszeit war nur der leichte Nebel, der alles in einen dünnen, weißen Schleier hüllte. Als ob ein Zauber auf dem Land läge. Vielleicht war das der Grund, warum die Wiesen und Felder diesen Sog auf mich ausübten und mich von Kilometer zu Kilometer weiter in die Landschaft hineinzogen. Die Alleebäume rechts und links der Straße neigten sich nach außen und erinnerten mich an den Zauberwald in meinem alten Märchenbuch. Dort hatten sich die Bäume genauso gereckt und nach Anbruch der Dämmerung nach den Menschen gegriffen. Gut, dass es noch Stunden dauerte, bis es dunkel wurde.“

 

309„Was halten Sie von einem Ausflug zum Reinhardsberg in der Johannisnacht?“ Ben sah mich forschend an.
„Spukt es dort?“
„Nicht direkt“, erwiderte Ben lachend. „Wenn man davon absieht, dass ein Kobold über einen Schatz wacht, der nur in der Johannisnacht gehoben werden kann.“
„Und wir zwei sollen uns jetzt auf die Suche nach diesem Schatz machen?“
„Wäre doch ein echtes Highlight für Ihren Artikel.“
„Und sobald der veröffentlicht ist, könnte sich die Stadt kaum noch vor Geister- und Schatzjägern retten“, sagte ich lachend. „Was genau muss man tun, um an den Schatz zu kommen?“
„Man muss in der Nacht vom 23. auf den 24. Juni den Berg besteigen. Dabei weist einem ein blaues Flämmchen den Weg zu einem Schlüssel. Der Weg soll an der Ostseite des Berges hinter einer eisernen Tür liegen, zu der auch der Schlüssel passt. Damit schließt man die Tür auf und findet schließlich das Gold. Aber man darf es noch nicht anfassen, sondern muss zunächst einen Gegenstand darauf werfen. So verlangt es die Sage. Dann verlässt man den Schatz wieder, ohne sich noch einmal umzudrehen.“
„Immer dasselbe“, warf ich ein, „mit dem Umdrehen haben bereits Orpheus und Lots Frau denkbar schlechte Erfahrungen gemacht.“
„Nach drei Tagen kommt man schließlich zurück und darf an der Stelle graben, an der man zuvor das Tor gesehen hat. Dort holt man dann den Schatz heraus“, beendete Ben seine Erzählung.
„Und das klappt?“, fragte ich schnell.

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Alle Zitate sind dem Roman Johannisnacht von Nora Gold entnommen.

Der Roman ist als Print-Ausgabe oder eBook bei Amazon erhältlich.

ÜBER PÄDAGOGISCH WERTVOLLES SPIELZEUG UND SEINE AUSWIRKUNGEN

Ein Gastbeitrag von Almut Bieder

Diesen Beitrag schreibe ich für meine Schwester Stephanie. Sie ist mir manchmal etwas fremd, weil wir arg verschieden sind, aber ich mag sie sehr, und als wir heute telefonierten, kamen wir – ich weiß nicht mehr, wie – auf ein Thema, das uns als Kinder sehr bewegte: Geburtstags- und Weihnachtsgeschenke. Und die daraus resultierende Freude. Aber auch den bisweilen daraus resultierenden Frust. Denn auch das kam vor.

Irgendwie war es aber auch nicht selten etwas ungerecht: Stephanie wünschte sich lange Zeit nichts mehr als eine – aus heutiger Sicht – stilistisch recht fragwürdige Puppe, die weinen und in die Hose machen konnte, wenn man – mit einem echten Baby würde man niemals so umgehen! – ihren linken Arm mit Schmackes hinunterdrückte. Dann verzog das im Grunde recht hässliche Ding sein Gesicht, und Tränen, genauer: Wasser, das man zuvor mit einer zum hässlichen Puppenkind gehörigen Flasche in die Öffnung im Mund praktiziert hatte, strömte aus den Augen. Und das Puppenkind war darob so frustriert, dass ein Teil auch noch in der zugehörigen Windel landete. Das Ding hatte jahrelang auf Stephanies Wunschzettel gestanden, bis ich es dann geschenkt bekam. Dabei hatte ich es mir nicht halb so inbrünstig gewünscht. Damals konnte ich das noch nicht so recht sehen, heute tut es mir leid für Stephanie, denn diese Puppe war ja nicht das einzige Geschenk, das sich Stephanie vergeblich gewünscht hatte, während es dann irgendwann für mich auf dem Gabentisch lag.

Das geschah keineswegs durch meine Eltern – denen tat das auch leid. Wäre es nach ihnen gegangen, hätte ich diese Puppe nicht bekommen, ebensowenig den Chemiekasten und so viele andere Dinge. Das kam von anderen Verwandten, und Stephanie stand dann immer traurig daneben. Fair war das nicht. Aber es gibt ja immer irgendwie einen Ausgleich im Leben, wenn’s auch nicht tröstet.

Meine Eltern gaben sich immer große Mühe mit den Geschenken, und meist trafen sie auch ins Schwarze. Meist. Denn bis heute weiß ich nicht, ob meine Mutter körperlich abwesend war, als mein Vater sich für das Einsteigerpaket „Meyertechnik“ erwärmte. Wohlgemerkt: Nicht für sich, denn er ist Diplom-Ingenieur, noch dazu Elektroingenieur, und ich werde den Eindruck nicht los, dass er auch gerne wollte, dass eine von uns eine Ingenieurwissenschaft studierte – später einmal. Da konnte man doch nicht früh genug ansetzen!

Ich bin mir inzwischen fast sicher, dass meine Mutter beim Kauf dieses Geschenks nicht anwesend war oder mit rationalen Argumenten nicht gegen meinen Vater ankam. Ich erinnere mich noch an jenen Heiligabend – ich muss etwa drei Jahre alt gewesen sein, Stephanie sieben -, als auf meinem Platz des Gabentisches viele schöne Sachen lagen. Auf Stephanies Platz lagen auch diverse schöne Sachen. Und ein großer Karton, in Geschenkpapier gehüllt.

Solch große Kartons zu Weihnachten sind ja immer recht spannungsgeladen – was mögen sie wohl enthalten? Man ist gespannt, entfernt vorsichtig das Geschenkpapier – um dann etwas zu finden, das man sich schon immer gewünscht hat! So machte es auch Stephanie. Sie zog ganz vorsichtig und sorgfältig, wie es ihre Art ist und weil es ja die Spannung noch steigert, die Tesafilmstreifen ab, die das Geschenkpapier hielten. Doch – wo blieb der Jubel? Er fiel doch sehr, sehr dünn aus, als das „Meyertechnik“-Einsteigerpaket zum Vorschein kam. Aber Stephanie war schon immer ein sehr diplomatischer Mensch, anders als ich: Sie bedankte sich lieb, aber an ihrem Gesicht war zu sehen, dass sie sich über die oben erwähnte, hässliche Puppe oder Vergleichbares weit mehr gefreut hätte.

Ich hatte da immer mehr Glück. Ich bekam meist Stofftiere. Und Lego. Mit beiden Dingen spielte ich sehr gern. Und Lego ist auch ungemein praktisch: Man braucht einen Grundbestand, und dann kann man immer Erweiterungen dazukaufen. Und so freute ich mich immer sehr über Lego – und praktisch war’s obendrein.

Diesen unglaublichen Vorteil, den Lego mit sich bringt, hat jedoch auch „Meyertechnik“ zu verbuchen. Sehr praktisch. Zumindest für die Schenkenden. Nicht für meine arme Schwester, die in der Folgezeit zuverlässig „Meyertechnik“-Erweiterungen geschenkt bekam. Und während ich mit den bunten Legosteinen Häuser baute, Fenster und Türen einsetzte und alles ganz toll fand, saß sie mit den technikgrauen Bauteilen von „Meyertechnik“ da und konnte sich zum Erstaunen meines Vaters gar nicht so sehr damit anfreunden, gar dafür begeistern. Sie beschäftigte sich – so denke ich – wohl mehr aus Pflichtbewusstsein damit, weil sie meinen Vater nicht enttäuschen wollte. Obwohl so ein reizender, kleiner und batteriebetriebener Motor – ergo ein Elektromotor – dabei war! Ich kann mich daran erinnern, dass die Dinge, die dann tatsächlich damit gefertigt wurden, nicht nur unter Regie meines Vaters, sondern eigentlich ganz und gar von ihm gebaut wurden, während Stephanie und ich staunend danebenstanden!

Sogar eine kleine Seilbahn baute mein Vater, die von der Tür bis zum Fenstergriff unseres Kinderzimmers reichte! Der kleine Elektromotor, der als Antrieb fungierte, funktionierte prachtvoll und beförderte zahlreiche Puppen aus unserem Puppenhaus von der Tür bis zum Fenstergriff – und wieder zurück! Nur manchmal blieben die Gondeln mitten auf der gefährlichen Strecke stehen. Die Batterien waren so schnell leer … Und so mussten wir wiederholt einschreiten und als Rettungsmannschaft die armen Püppchen aus der Notlage befreien. Wahrscheinlich waren sie danach traumatisiert …

Irgendwie war „Meyertechnik“ nicht so der Brüller. Und heute gestand mir Stephanie am Telefon: „Das war gar nicht schön. Ich habe mich selten so doof und unfähig gefühlt, weil ich mit dem Bau dieser Sachen nicht klarkam.“ Ich konnte es ihr nachfühlen. Noch dazu, da sich dieses Gefühl ja in schöner Regelmäßigkeit an Geburtstag oder zu Weihnachten verstärkte … Mit jeder Erweiterungspackung.

Liebe Eltern, bitte achtet bei Geschenken für eure Kinder stets auf die Neigungen eurer Kinder. So manches pädagogisch wertvolle Spielzeug kann zum Bumerang werden und negative Gefühle beim Kind auslösen – schlimmstenfalls sogar das Gefühl eigener Unzulänglichkeit. Das sollte man vermeiden. Meine Schwester ist ein gutes Beispiel, die das Ganze heute jedoch sehr humorvoll betrachtet. Jedenfalls haben wir heute am Telefon beide sehr gelacht.

Für meine Schwester, die nicht nur unter mir leiden musste, sondern auch unter manchem Geschenk. Aber falls es Dich tröstet: Auch mich hat das Ganze gewissermaßen traumatisiert, denn ich fragte mich fortan immer, warum Du und nicht ich dieses Geschenk bekam. War ich per naturam zu blöd dazu? Du siehst: Probleme, wohin man nur schaut …