Ein Ort voller Bücher
„Geboren wurde die Idee bereits vor 50 Jahren in Wales. Dann zogen andere Länder nach, Deutschland zum Beispiel. Und natürlich die Niederlande“, erläutert mir die humorvolle Frau in dem versteckt in einem Zaubergärtchen liegenden Buchladen in Wigtown. Es ist bereits der fünfte und einer ist skurriler und liebevoller gestaltet als der andere. Und noch längst habe ich nicht alle Buchläden hier besucht, denn Wigtown ist Schottlands ‚National Book Town‘.
„Zuerst gab es einen Wettbewerb“, erzählt die Frau lächelnd weiter. „Dabei konnte Wigtown überzeugen.“ Das war 1997 und der Ort vom Verfall bedroht. Industrie wie eine Destillerie und eine Molkerei gab es da schon längst nicht mehr in dem malerischen Städtchen am Wigtown Bay. Dass der heute knapp tausend Einwohner zählende Ort im Mittelalter sogar eine ‚Royal Burgh‘ und durch Pilgerreisende wohlhabend geworden war, schien in den Neunzigern des letzten Jahrhunderts endgültig der Vergangenheit anzugehören.
Heute sollte, wer in Wigtown lebt, Bücher lieben. Denn in jedem Restaurant, Tea Room und sogar in Gärtnereien und Second-Hand-Läden gibt es neben dem normalen Angebot Bücher Bücher Bücher. Insgesamt sollen es mehr als 250.000 sein. In alten und neuen Regalen ziehen sie sich durch alle Ladenlokale, die zumeist aus vielen kleinen Räumen bestehen. Wahre Schätze kann man hier entdecken, die meisten davon sind längst nicht mehr im normalen Buchhandel zu bekommen. Denn die Bücher von Wigtown sind antiquarisch und schon durch so manche Hand gegangen.
Im ‚Beltie Books and Café‘ gibt es neben Büchern selbst gemachte Kuchen und kleinere Speisen. Im Sommer steht den Gästen neben dem hellen und liebevoll eingerichteten Café auch ein Garten zur Verfügung. „So stelle ich mir das Paradies vor“, sage ich einem der beiden Besitzer, was bei diesem ein Lächeln hervorruft. Er wird es nicht zum ersten Mal hören.
Dann gibt es ‚The Bookshop‘, Schottlands größten Second-Hand-Buchladen. Auf den ersten Blick sieht er gar nicht so aus, und ich bin eher von den wertvollen alten Leder- und Leinen-Einbänden beeindruckt, die auf einer Ladenseite in hohen Regalen locken. Doch dann entdecke ich einen kleinen Gang und folge ihm immer tiefer hinein in das Gebäude. Ein Raum folgt dem nächsten, beinahe gleicht es einem Labyrinth. Und überall Buchregale, sogar neben den Treppen. Außerdem erwartet mich in jedem Raum eine neue Überraschung. Mal baumelt ein furchterregendes Skelett von der Decke, mal wartet ein Hochbett mit Leselampe darauf, dass ich mit ein paar Schmökern unter dem Arm die schmale Leiter erklimme. Eine Nische weiter vermitteln alte, bequeme Ledersessel vor einem Kamin Urgemütlichkeit. Sie bleiben nicht lange leer. Hier könnte ich Tage verbringen.
Doch weil ich langsam Hunger bekomme, wechsle ich den Buchladen und gehe ein paar Häuser weiter ins ‚Glaisnock Café‘. Wieder viele Räume mit Bücherregalen. Und in jeder Ecke stehen Sessel, Sofas oder Stühle mit kleinen und größeren Tischen, an denen man sitzen, lesen und essen kann. Köstlich die ‚Soup of the day‘. Und erst die Kuchen an der Theke, die ich vor lauter Büchern erst auf den zweiten Blick entdecke. Ich entscheide mich für einen Schokoladenkuchen mit weichem Kern und Ingwerstückchen. Dazu eine große Kanne Tee. Nun möchte ich wirklich nicht mehr gehen. Dummerweise entdecke ich im Regal gegenüber auch noch einen kleinen Band mit den witzig beschriebenen Erinnerungen einer englischen Lady im viktorianischen Zeitalter.
Ich lese mich fest und will das Buch natürlich kaufen. Und so wandert es später in die Tasche zu den anderen, die ich heute bereits in Wigtown erstanden habe. Manches ist darunter zur Geschichte der Jakobitenaufstände, was ich noch nicht kenne. Irgendwann kommt mir das Gewicht meines Koffers in den Sinn – viel zu spät – und ich verlasse doch endlich das Buch-Café. Ich werde wiederkommen in diesen Ort. Vielleicht zu einem der jährlich stattfindenden Buch-Festivals.
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