Das ist doch viel zu schade …
Satirisches aus dem ganz normalen Alltag
von Marie-Luise Wagener
Meine Familie besteht aus vier Personen. Zwei davon sind Sammler, der Rest versucht, mit den aktuellen Anschaffungen auszukommen. Die Sammler verwahren alles, auch den kleinsten Lackrest – man braucht so etwas gelegentlich schon mal -, abgewetzte Ledergürtel von längst in der Altkleidersammlung entsorgten Hosen, leere Marmeladengläser, für deren Reinigung ökologisch wertvolles Leitungswasser verschwendet wird, um dann wertlosen Krempel darin aufzuheben, Holzleisten jeglicher Länge und Dicke. Die so genannte Werkstatt meines Mannes gleicht einem Gruselkabinett. Die Forderung, Ordnung zu schaffen, stößt auf beleidigten Protest. Ja, mein Mann behauptet sogar, den Inhalt der unzähligen Schachteln und Schächtelchen, Dosen und Gläser genau zu kennen.
Apropos Altkleidersammlung: Den Kampf, abgetragene, unmoderne Kleidung nach jahrzehntelangem Gebrauch zu entsorgen, gewinne ich nur, wenn mein Mann wegen Gewichtsproblemen sämtliche Nähte und Knöpfe sprengt. Allerdings hat sich in diesem Punkt seit einem eher peinlichen Vorfall eine positive Änderung ergeben: Wir bekamen eine Traueranzeige, unglücklicherweise erst einen Tag vor der Beerdigung. Mein Mann – mittlerweile 65 Jahre alt – besitzt einen schwarzen Anzug, der für sein Examen vor 40 Jahren von einem Schneider angefertigt und wegen des ach so guten Tuches zu den verschiedenen Anlässen – Hochzeit, Kindtaufe – den veränderten körperlichen Bedürfnissen angepasst worden war. Man wähnte sich gut gerüstet für den traurigen Anlass.
Allerdings lag die letzte Anpassung schon 13 Jahre zurück. Ich witterte Unrat und riet zu einer Anprobe, da mein Mann in der letzten Zeit etwas an Gewicht zugelegt hatte. Der Anblick, der sich mir anschließend bot, war je nach Temperament des Betrachters Mitleid erregend oder Lachsalven auslösend. Mein Mann stand da mit eng an den Körper gepressten Armen, um die Rückennaht des Jacketts zu schonen, versuchte, durch Anhalten der Luft und Einziehen des Bauches den Hosenbund erträglich zu gestalten und brachte mühsam hervor: „Was meinst du, so kann ich wohl nicht gehen?“ Meine Bemühungen, kurz vor Ladenschluss Ersatz zu beschaffen, waren vergeblich. Mein Mann trauerte in Braun. Seitdem trennt er sich leichter von Klamotten, die das Verfallsdatum längst überschritten haben.
Eine neben der Haustür abgestellte, prall gefüllte Plastiktüte, die ich bei nächster Gelegenheit zum Altkleider-Container mitnehmen wollte, erregte neulich das Interesse des anderen Sammlers meiner Familie, meiner ältesten Tochter. Mir brach der Schweiß aus. Die Tüte wurde geöffnet, entrüstetes Geschrei drang durchs Haus: „Bist du verrückt, das sind doch meine Abiturschuhe!“
Nebenbei bemerkt, meine Tochter ist 34 Jahre alt.
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